Ich merke erst, wie viel Ruhe ein Schulalltag gewinnen kann, wenn neben Lehrkräften ganz selbstverständlich auch pädagogische Fachkräfte mitlaufen – Menschen, die nicht „nebenbei“ zuständig sind, sondern deren Job genau darin besteht, den Laden im besten Sinn zusammenzuhalten: Präsenz zeigen, Konflikte früh abfangen, Übergänge begleiten, Beziehungen stabilisieren. Hier in Belgien erlebe ich das als spürbaren Unterschied. Meine Kinder sind zwar auf einer Privatschule, aber ich bekomme – auch über Kontakte, Wege, Nachbarschulen und Gespräche – genug Einblicke in staatliche Schulen, um zu sehen: Diese Rolle ist nicht exotisch, sondern ein echtes Standbein.
In der Fédération Wallonie-Bruxelles ist die Funktion der „éducateur/éducatrice“ im Sekundarbereich sogar ausdrücklich definiert: unter Autorität der Schulleitung begleiten und betreuen sie die anvertrauten Schüler, sozialpädagogisch und administrativ – als zusammengehöriges Aufgabenfeld. Und wenn man sich anschaut, was da konkret drinsteht, wird schnell klar, warum das im Alltag so viel ausmacht: Diese Fachkräfte organisieren und sichern die „Zwischenzeiten“ (Ankommen, Pausen, Mittag, Wechsel zwischen Stunden), achten auf Wohlbefinden und Sicherheit, machen Erst-Mediation, arbeiten an Konfliktprävention, sind Ansprechpartner für Gruppen, halten Kontakt zu Eltern und externen Stellen und sind auch in Themen wie Gewalt- und Mobbingprävention ausdrücklich mitgedacht. Das ist nicht romantische Pädagogik, sondern schlicht Arbeitsaufteilung: Lehrkräfte können unterrichten, und gleichzeitig ist jemand da, der die sozialen und organisatorischen Reibungsflächen professionell bearbeitet – bevor sie eskalieren oder den Unterricht dauerhaft auffressen.
Was ich daran besonders überzeugend finde: Diese Rolle ist im System verankert, nicht nur von Engagement abhängig. Im genannten Profil taucht sogar die Zusammenarbeit mit Lehrkräften, Schulleitung und CPMS (PMS-Zentren) als notwendige Partnerschaft auf – also genau dieses „nicht gegeneinander, sondern nebeneinander“ der Professionen. Für Eltern bedeutet das oft: Es gibt mehr als eine Tür, an die man klopfen kann. Und für Kinder bedeutet es: Die Schule hat mehr erwachsene Augen und Ohren – nicht als Kontrolle, sondern als Netz, das früher trägt.
Wenn ich das mit Deutschland vergleiche, sehe ich nicht „gar nichts“ – aber ich sehe häufiger Flickenteppich. Deutschland baut Ganztag aus und führt ab 2026 schrittweise einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter ein. Das ist ein großer Schritt, und in vielen Bundesländern gibt es längst Schulsozialarbeit, OGS-Teams, Horte, Träger, Kooperationen. Auch rechtlich bewegt sich etwas: Mit § 13a SGB VIII ist Schulsozialarbeit als Angebot beschrieben, das jungen Menschen „am Ort Schule“ zur Verfügung stehen soll. Gleichzeitig bleibt die praktische Ausgestaltung je nach Bundesland, Kommune, Trägerlage und Personalmarkt sehr unterschiedlich – und genau da entsteht aus Elternsicht oft dieses Gefühl von Unübersichtlichkeit: Wer ist zuständig? Wer ist präsent? Wie verbindlich ist die Kooperation? Selbst in fachlichen Berichten zur Ganztagsentwicklung wird die fehlende bzw. uneinheitliche Regelung von Kooperationen als Herausforderung benannt.
Mein Punkt ist deshalb weniger „Belgien gut, Deutschland schlecht“, sondern: Ich halte es für klug, wenn ein Schulsystem Rollen klar definiert und ausreichend sichtbar im Alltag platziert – gerade dort, wo Kinder nicht still am Tisch sitzen, sondern wo das Leben dazwischen passiert. Das ist kein Luxus und keine „Extra-Betreuung“, sondern eine Infrastruktur, die Unterricht überhaupt erst zuverlässig möglich macht. Und ja: Wenn diese Infrastruktur fehlt oder zu dünn ist, wirkt Schule schnell hektischer, konfliktreicher und für alle Beteiligten anstrengender – Lehrkräfte eingeschlossen.
Vielleicht wäre genau das ein nüchterner Lernimpuls: Nicht immer neue Programme, nicht immer neue Appelle, sondern verlässlichere Teams im Schulhaus, mit klaren Profilen, Zuständigkeiten und Zeitfenstern. In Belgien sehe ich, wie entlastend das sein kann – nicht perfekt, nicht überall gleich, aber als Prinzip stimmig. Und wenn Deutschland jetzt ohnehin Ganztag ausbauen muss, wäre es aus meiner Sicht die richtige Gelegenheit, diese pädagogischen Rollen nicht nur „mitzudenken“, sondern strukturell so einzubauen, dass sie im Schulalltag wirklich tragen.






